Am Schluss werden sie ihren Film auf eine Hauswand projizieren

Helen Lagger - Der Bund/Berner Zeitung, 22.06.2023

Hier wird oft Fussball gespielt oder ein Picknick veranstaltet. Eine grosse, von Wohnblöcken umgebene Rasenfläche mitten im Bümplizer Quartier Kleefeld ist eine beliebte Begegnungszone. Hier trifft sich auch die Künstlerin Adela Picón mit den Bewohnerinnen und Bewohnern des Viertels. Im Rahmen der Projektreihe «Kunstplätze» gestalten Künstlerinnen und Künstler in unterschiedlichen Quartieren Kunst im öffentlichen Raum, gemeinsam mit der jeweiligen Bevölkerung. 

Die 1958 in Spanien geborene Adela Picón, die teils in Bern, teils in Katalonien lebt, hat nun eine Wohnung im Kleefeld bezogen. In einem der grössten Quartiere in Bümpliz leben aussergewöhnlich viele Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene. Junge Menschen im Alter von 18 bis 30 Jahren will Picón denn auch mit ihrem Projekt ansprechen und miteinbeziehen.

Bereits seit dem 1. Mai ist sie gemeinsam mit ihrem Partner Mauro Abbühl im Kleefeld unterwegs. «Ich bin Adelas Assistent», sagt Abbühl. Er sucht Lösungen bei technischen Problemen, spielt den Chauffeur oder hilft beim Dokumentieren.

Reals ergeben Film

Eine erste Phase hat Picón dazu genutzt, sich mit der Bevölkerung zu vernetzen. Sie lernte etwa die Sozialarbeiterin Marleen Gerhard kennen, die seit einem Jahr für das Kleefeld zuständig ist. Gerhard sagt: «Ich habe selten so kontaktfreudige Kinder und Jugendliche kennen gelernt wie hier.» Sie liess «ihre» Kinder für ein Taschengeld die Plakate von Picón aufhängen.

Auf diesen Aushängen findet man einen QR-Code und die Anweisungen, wie und wo man selbst erstellte Reals – mit dem Smartphone gefilmte Sequenzen – hochladen kann. Aus diesen Eingaben will Picón am Ende des bis zum 31. Juli dauernden Projekts einen Film machen und auf eine Häuserfassade projizieren. 

Die Künstlerin hat auch schon den passenden Soundtrack zum Film, denn sie hat sich auch Rapper ins Boot geholt. Der Rapper Bilal etwa ist eine mit dem Quartier eng verbundene Grösse. Beim Fototermin verhüllt er sein Gesicht. «Ich bin hier aufgewachsen, und ich mag das Gemeinschaftsgefühl hier», sagt er und gibt stolz an, dass die Kinder des Kleefelds seine Lieder auswendig könnten. 

Bilal wurde 2005 geboren; für Adela Picóns Projekt ist er nun mit älteren Rappern des Quartiers zusammengekommen, die ebenfalls Sound für den Film beisteuern. Der 1980 geborene Philipp Gehrig meint: «Wir übergeben den Jungen das Quartier.» Produziert wird der Track von der TMCrew aus dem Nachbarquartier Tscharnergut.

Treffen in der Tiefgarage

«Das Kleefeld hat eine eigene Identität», ist Picón überzeugt. Es sei allerdings schwierig, den Puls dieses Quartiers einzufangen und an die für sie interessante Altersgruppe heranzukommen. «Es fehlt hier an Räumen für Jugendliche.» Dass diese sich in der Tiefgarage treffen, spricht für sich. Rapper Bilal hat ein ästhetisches Real dazu gemacht. Ein von hinten gefilmter Mann läuft erhobenen Hauptes in die Tiefgarage hinein, die plötzlich ihre verborgene Schönheit offenbart. 

Auch Zahraa Al Assadi, die alle unter dem Namen Zahor kennen, ist mit von der Partie. Ihre Tochter hat bereits ein Real an Picón gesendet. Die Mutter von vier Kindern, Grafikdesignerin, feministische Aktivistin und Stand-up Comedian lebt seit zwanzig Jahren im Quartier. «Das ist meine Heimat», sagt die Tochter eines Irakers und einer Syrerin. Sie habe Verständnis für verschiedene Kulturen und helfe anderen Migrantinnen und Migranten, hier zurechtzukommen – etwa jungen Frauen, die wie sie Kopftuch tragen. 

Das Real ihrer Tochter dokumentiert übrigens einen von Zahor angebotenen Kochkurs. Bei der Frage, ob sie keine Angst vor Schleichwerbung habe, winkt Adela Picón ab. «Nein, das stört mich nicht. Ich sammle ja Videos über den Alltag der Menschen hier, auch über ihre Jobs.»

«Ich bin eine Influencerin»

In den Medien und bei Nachbargemeinden ist der Ruf des Kleefelds nicht der beste. So sorgte das Quartier etwa Anfang Jahr für Schlagzeilen wegen einer angeblichen Schiesserei. Jugendliche waren mit einem Abwart aneinandergeraten. Schliesslich stellte sich hinaus, dass es eine Schreckschusspistole gewesen war.

Eine positive Berichterstattung löste hingegen kürzlich die neu sanierte Schule aus. Für die Jugendlichen tut sich langsam, aber stetig etwas. Am kommenden Samstag etwa findet ein Fussballturnier statt. Picón stellt an diesem Anlass eine Videoplattform auf und fordert die Menschen vor Ort auf, Erinnerungsfilme von sich und ihren Lieben mit einer 360-Grad-Kamera herzustellen.

Warum setzt die 65-Jährige auf Instagram und Facebook? Die sozialen Medien seien heute zentrale Kommunikationskanäle. «Auch wenn man das nicht vermuten würde: Ich bin eine Influencerin», sagt sie lachend. 

Das Tagebuch der Künstlerin.